Viel Spass dabei!
Tobias’ kleine Schwester und neue Methoden der Literatureinschüchterung
„Vielleicht sollten wir mal Bücher verbrennen“, meint Jens.
Tobias’ kleine Schwester guckt alarmiert. Tobias’ kleine
Schwester ist noch nicht ganz volljährig, also ist sie politisch. Mit
Bücherverbrennen, selbst aus Spaß, hat sie Probleme.
Tobias’ kleine Schwester ist in der Antifa-AG ihrer Schule
und in einem Star-Trek-Fanclub organisiert. Sie hat retro-grüne Haare und guckt
klug. Wenn es nicht gerade ums Bücherverbrennen geht, hat sie eigentlich auch
Humor. Ich halte sie allerdings für borderline-autistisch, wie jede Frau, die
zurückzuckt, wenn ich sie zufällig zu berühren versuche.
Aus Langeweile und einem vagen sexuellen Interesse
beschließe ich, auf ihrer Seite zu sein. „Bücherverbrennen find ich scheiße. Da
könnten wir Applaus von den falschen Leuten kriegen.“
„Stimmt“, räumt Jens ein. „Aber wie wär’s mit Bücherertränken?“
Ich denke kurz darüber nach. Die Vorstellung von Büchern,
die in einem riesigen Wasserbecken hilflos mit den Seiten wedeln und
schließlich, vom todbringenden Nass vollgesogen und aufgebläht, leblos zu Boden
sinken, gefällt mir.
„Bücherertränken hat was“, sage ich.
Tobias’ kleine Schwester schnaubt empört. „Das ist doch
genau dieselbe Ideologie!“, findet sie.
Ich begehre sie noch immer, aber das Bücherertränken
erscheint mir jetzt wichtiger. Ich bin wieder auf Jens’ Seite. Wir schmieden
Bücherertränkungspläne. Wir vernachlässigen Tobias’ kleine Schwester.
Sie gähnt und steht auf. „Ich geh dann auch mal ins Bett.“ Tobias’
Haftentlassungsparty ist seit einigen Stunden vorbei. Wir sind die letzten
Gäste. Im Fernsehen läuft Gazastreifen, wir haben den Ton runtergedreht. Heute
ist nicht viel passiert, nur eine Autobombe und wie-durch-ein-Wunder nur ein
paar Leichtverletzte. Der Fernseher ist gut, wir haben ihn Tobias anlässlich
seiner Entlassung geschenkt. Der KV-28FC60C ist das Top-Modell der Art Couture
Linie von Sony. Völlig plane Bildschirmoberfläche, perlweißes (aber
schmutzabweisendes) Gehäuse, digitale Rauschunterdrückung, digitales
Kammfiltering und 100-Hertz-Plus-Technologie, was ein Vorteil ist, auch und
gerade in Krisenzeiten. Ich finde den Begriff Krise besser als den Begriff
Krieg. Krisen habe ich auch manchmal, mit Krieg kann ich nichts anfangen.
Ich schalte kurz um auf VIVA, aber da ist nur Atomic Kitten,
darum schalte ich aus. Jens und ich wünschen Tobias’ kleiner Schwester eine
gute Nacht, glaube ich. Sie verlässt uns. Tobias selbst ist schon längst im
Bett.
Wir durchsuchen den Partykeller nach Büchern.
Ein Partykeller ist keine Bibliothek. Wir beratschlagen, ob
wir nicht doch lieber CDs ertränken sollten, finden dann aber immerhin das
Telefonbuch und die Gelben Seiten. Eine kurze Diskussion entbrennt, ob es okay
ist, diese beiden Bücher zu ertränken. Wir einigen uns auf einen Kompromiss.
Das Telefonbuch muss dran glauben, weil da teilweise voll die Schweine
drinstehen. Vergewaltiger, Glatzen, Kriegsverbrecher. Die Gelben Seiten bleiben
verschont, weil da die Nummer von dieser coolen Videothek in der Bismarckstraße
drinsteht, die Jens neulich entdeckt hat.
Wir begeben uns ins Badezimmer und lassen Wasser in die
Wanne. Mir fällt Tobias’ schwarzer Vinyl-Duschvorhang auf. Ich bin neidisch,
weil ich so einen immer gesucht habe. Habe aber nur rote und blaue gefunden und
schließlich einen von den roten gekauft. Als ich Tobias’ schwarzen Vorhang zur
Seite ziehe, spüre ich eine leichte sexuelle Erregung. Kann auch an den
Todesdrogen liegen, die wir meiner Meinung nach genommen haben. Als Jens gerade
nicht guckt, lecke ich schnell den Duschvorhang. Die Erregung steigt. Liegt
wohl doch am Vorhang. Ich bin mir auch gar nicht sicher, ob ich heut wirklich
schon Todesdrogen genommen habe.
Jens dreht den Wasserhahn auf. „Kalt oder warm?“, fragt er.
„Kalt“, sage ich. „Und kein Badeschaum.“
Plötzlich geht die Tür auf. Tobias steht im Rahmen. Er ist
verschlafen und verkatert, und er ist nicht zu Scherzen aufgelegt.
„Was macht ihr denn da?“ fragt er. „Könnt ihr nicht bei euch
zu Hause baden?“
„Wir baden nicht“, kläre ich ihn auf. „Wir ertränken das
Telefonbuch.“
„Da stehen Faschos drin“, ergänzt Jens.
„Spinnt ihr? Lasst den Scheiß und geht heim!“
Das tun wir.
Auf dem Heimweg fragen wir uns, ob Tobias’ kleine politische
Schwester uns verpfiffen hat. Widerstand is here to stay.
„Vielleicht war das wirklich ein bisschen krass“, meine ich.
„Ja“, sagt Jens. „Wir sollten klein anfangen. Den Büchern
erst mal ein bisschen Angst machen.“
„Genau. Sie einschüchtern.“
„Zum Reden bringen.“
„Genau. Bücher zum Reden bringen. Das ist gut. Das machen
wir.“
„Aber erst morgen.“
„Morgen muss ich meine Festplatte partitionieren.“
„Übermorgen dann?“
„Übermorgen bin ich an der Uni.“
„Sehr lustig.“
„Nein, wirklich.“
„Was gibt’s denn übermorgen?“
„Geschnetzeltes.“
„Ach ja.“
„Ich kann mal gucken, ob die Bücher haben.“
„Wer?“
„Die an der Uni.“
„Das wäre super. Lass uns noch mal telefonieren.“
Eigentlich
wollte ich Jens fragen, ob wir heute Nacht noch Liebe machen wollen, wo schon
mit Tobias’ kleiner Schwester nichts ging. Ich komme aber irgendwie davon ab,
und dann ist Jens weg. So wichtig war es auch nicht.
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